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Erinnerungen an die Weihnachtszeit meiner Kindheit

von Eckhard Müller

          Wenn ich meine Gedanken in die Vergangenheit schweifen lasse, und die Jahre meiner Kindheit betrachte, sind die Erinnerungen an die damalige Weihnachtszeit besonders lebhaft in meinem Gedächtnis haften geblieben.

          Ich möchte von mir behaupten, daß ich eigentlich so ein richtiger „Weihnachtsmann“ bin. Das heißt, für mich ist das ganze Jahr immer ein bißchen Weihnachten. So richtig beginnt es im Spätherbst. Ich zähle die Tage bis zum 1. Advent. Ich laufe in unserer Fichtenschonung herum und suche den späteren Weihnachtsbaum aus. Ich mache Pläne für das Festtagsmenü usw. Und ich schwelge in Erinnerungen an die Weihnachtszeit meiner Kindheit. ---

Damals kam also zuerst der Nikolaus. Unsere Nachbarin „et Krusen Soffi“ - sie war übrigens noch unverheiratet - machte bei uns im Dorf den Hl. Mann. Tage vorher wurde es aber schon spannend. Abends, wenn ich mit meiner Oma „Mühle“ oder „Mensch ärgere dich nicht“ spielte, oder aber im Dunkeln mit ihr zusammen am warmen Küchenherd saß, während meine Eltern noch im Stall die Tiere versorgten, klopfte es dann plötzlich ans Fenster. Da ging es mir kalt über den Rücken. Mutig ging meine Oma ans Fenster und öffnete es. Dann flog auch schon eine Tüte mit Plätzchen und Süßigkeiten in die Stube. Meistens platzte sie dabei auf und zitternd vor Angst und Aufregung sammelte ich die Köstlichkeiten auf. Wenn Papa und Mama dann aus dem Stall kamen, erzählte ich ihnen aufgeregt mein Erlebnis.

Am Nikolausabend erschien dann Sofie in Gestalt des Hl.Mannes an der Tür, mit diesem grauenhaften, bösen Hans Muff, den sie aber später draußen ließen, da ich zum Gottserbarmen heulte und brüllte vor Angst. Der Nikolaus reichte schon. Manchmal bin ich dabei glatt unters Sofa gekrochen.

Später kam der Nikolaus dann nur noch nachts, das heißt, ich stellte am Vorabend den Nikolausteller auf. Das war der große Messing-Teller unserer alten mechanischen Küchenwaage. Ganz früh am Morgen lief ich dann bibbernd in die Küche, um mir den gefüllten Teller und die anderen Gaben anzusehen. Da lagen meistens die traditionellen Malbücher samt Malstifte. Eines durfte dabei aber nicht fehlen - und fehlte auch nie: Außer dem obligaten Weckmann mit Pfeife (Hierzbock) war da noch ein ganz besonderes Gebilde. Es war ein, aus Teig geformter Mann, welcher auf einem Pferd ritt. Eine Besonderheit, die nur ich besaß, und die jedesmal von den Nachbarskindern gebührend bewundert wurde. Dieser „Reitende Hierzbock“ stammte von meinem Pattohm. (Mein Patenonkel Peter aus Wellerscheid). Er ließ ihn immer in der dortigen Bäckerei Steeger für mich backen. Wenn ich dann alles genau bewundert hatte, kroch ich selig ins warme Bett zurück.

Um den Nikolaustag wurde dann auch - wie überall in der Nachbarschaft - unser Schwein geschlachtet. Deshalb habe ich wohl bis heute das Gefühl, wenn ich den von mir so sehr geschätzten Pannhas esse, es sei Nikolaustag.

Dann kam die Zeit des Plätzchenbackens. Uns Kindern wurde dann gesagt, das Christkind habe jetzt dermaßen viel um die Ohren mit backen und so, das Mutter ihm helfen müsse. Die fertigen Plätzchen wurden dann, wie man mir sagte, auf den Older (Speicher) gestellt, von wo sie das Christkind dann abholte. Merkwürdigerweise brachte es dann aber zu Weihnachten immer wieder unsere eigenen Plätzchen. Nie tat es einen falschen Griff, wobei dann auch Plätzchen unbekannter Herkunft auf meinem Teller gelegen hätten. Das hat mir übrigens damals immer zu denken gegeben.

Natürlich half ich beim backen. Mit den Blechförmchen stach ich den Teig aus. Wenn das Backblech voll war, schob es meine Mutter in den Backofen unseres Küchenherdes. Der wurde gestocht (geheitzt) mit Holz und Brikett. Es war eine Kunst für sich, im Backofen eines solchen Herdes zu backen. Meine Mutter beherrschte diese Kunst allerdings profiehaft! Kaum, daß einmal ein Plätzchen zu hell oder zu dunkel war, oder gar verbrannte. Wie viele Kuchen, Torten (die später gefüllt und mit Buttercreme verziert wurden) usw. sind durch diesen alten Backofen gegangen. Da gab es kein Termostat mit Einstellung 175 Grad - Heißluft. Alles ging nach Gefühl und Erfahrungswerten. Die Koch- und Backeigenschaften dieses Herdes standen dem eines heutigen modernen Elektroherdes in keiner Weise nach. Man mußte nur den Umgang mit ihm kennen.

In den Wochen vor Weihnachten war es damals oft schon recht kalt und es lag häufig auch schon Schnee. Das war dann die Norm. Wir Kinder vergnügten uns draußen mit Schlittenfahren, Schneemann bauen und „Bahnhauen“ auf dem Eis. Nach einem kräftigen Anlauf schlitterte man mit den Füßen über die Eisbahn (Eisfläche). Bevorzugte Eisbahnen waren der Brandweier unten im Dorf - so genannt, weil er bei einem Brand als Wasser-Reservoire diente. Dann gab es noch im nahen Rockenbusch verschiedene alte Lehmkuhlen, die sich nach den herbstlichen Regenperioden randvoll mit Wasser gefüllt hatten, und nun zugefroren, eine herrliche Eisfläche darstellten.

Schlittschuhe gab es ja kaum. Ich habe jedenfalls nie welche besessen, obwohl sie auf keinem meiner Weihnachtswunschzettel fehlten. Meine besorgten Eltern dachten dabei wohl auch an bevorstehende Arm- und Beinbrüche.

Heiligabend wurde ich ganz früh zu Bett geschickt. Die Kammer, in der ich schlief, lag direkt neben der Wohnstube. Für meine Eltern muß es wohl nicht leicht gewesen sein, dort dann die Weihnachtsvorbereitungen zu treffen, ohne das ich im Nebenzimmer etwas davon mitbekam. Später dann, in den Jahren meiner ersten Zweifel, konnte ich bei genauem Hinhören einige Geräusche identifizieren. So zum Beispiel das Rascheln des Christbaumes usw. Die Kammertür, welche natürlich nicht ganz dicht schloß, wurde von der Stube her mit einer Decke verhangen, so daß kein verräterischer Lichtstrahl in meine Kammer fiel.

Am Morgen, nachdem ich aufgestanden war, kam der große Augenblick und staunend stand ich vor der ganzen Herrlichkeit. Ich erinnere mich noch gut an jenen unvergeßliche Weihnachtsmorgen, - es war wohl an meinem 6.Lebensjahr,- als ich zum ersten Mal mit meinen Eltern zu Fuß durch den knirschenden Schnee und die sternklare Winternacht zur Christmette nach Kreuzkapelle gehen durfte.

Gegen 4,oo Uhr in der Frühe wurde ich geweckt. Bibbernd vor Kälte und Aufregung betrat ich unsere Stube. In der Ecke zwischen den beiden Fenstern stand der Christbaum auf einem kleinen Tisch. Ihm zu Füßen auf grüner Holzwolle die Figuren unserer Krippe mit Maria, Josef, dem Jesuskind und den Hirten mit ihren Schafen. Auf dem Küchentisch die bunten Teller mit den Süßigkeiten und den Geschenken, welche ich nur mit einem flüchtigen Blick erhaschen konnte, denn meine Eltern drängten zum Aufbruch.

Unterwegs trafen wir auch die Leute aus den Nachbardörfern. Die Kirche war überfüllt. Fast geblendet war ich vom Glanz der vielen Kerzen an den großen Tannenbäumen rund um den Altar und unserer schönen, alten Krippe mit den großen, herrlichen Figuren und dem strohgedeckten Stall. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sehr ich in Gedanken während der Christmette meine ebenfalls anwesenden Schulkameraden und Nachbarskinder bedauerte, die, - davon war ich felsenfest überzeugt,- nicht so ein wunderschönes Weihnachtsfest feiern konnten wie ich.

Wieder zu Hause, wurde der Ofen angezündet. Die Oma stand auf und gemeinsam bewunderten wir nun meine Geschenke. Es war ja Kriegszeit und wir waren nicht gerade wohlhabend. Es gab also typisches Kriegsspielzeug, Zinnsoldaten, Kanonen aus Blech, mit denen man Erbsen in die Luft schießen konnte usw. Eine Ritterburg war ebenfalls einmal unter den Geschenken. Auch ein Flugzeug, das man auseinander- und wieder zusammenbauen konnte. Ich glaube, es war eine Me 109. Alles natürlich aus Blech. Kunststoff gab es ja noch nicht. Dann war da ein Holzbaukasten. Einmal erhielt ich eine Eisenbahn zum Aufziehen mit den dazu gehörigen Schienen, welche man in Kreisform zusammenstecken mußte. Auch mein sehnlichster Wunsch nach einem „Stabilbaukasten“ (Metall-Baukasten) ging irgendwann in Erfüllung. Mit diesem Kasten habe ich Lastkräne, Autos, Schiffe und vieles andere gebaut. Damals der Traum eines jeden Jungen. Dann bekam ich auch ein Paar Ski. Die waren in echter Handarbeit vom Schreinermeister Peter Knipp aus Much hergestellt. Sie waren erst im letzten Augenblick fertig geworden, denn der schwarze Lacküberzug war noch nicht ganz trocken. Es war das erste, was ich nach meinem Erwachen am Weihnachtsmorgen roch.

Das Mittagessen an Weihnachten war bei uns normales Sonntagsessen. Das heißt: Es gab meistens Suppenfleisch, Schweinebraten aus dem Einweckglas oder sonst etwas vom Schwein. Dazu Kartoffeln und Gemüse aus eigenem Anbau.

Am Nachmittag kamen dann Onkeln, Tanten, Vettern und Cousinen an. Da kam für mich auch noch einiges an Geschenken zusammen. Ich hatte dabei die größte Sorge um mein Spielzeug, damit nichts in die Brüche ging. Besonders am 2.Weihnachtstag, wenn wir Kinder „reihum“ gingen, um die jeweiligen Geschenke der andern zu bestaunen. Einige von ihnen entwickelten dabei immer ein, für mich rätselhaftes Talent, meine Sachen kaputt zu machen - kaum das sie diese in ihrer Hand hielten. Oft war dann der Schaden nicht mehr zu reparieren. Heute wäre das ein Leichtes gewesen bei der Auswahl an Klebemitteln. So auch beim Malen mit meinen Buntstiften. Da brach ihnen regelmäßig die Spitze ab, wogegen ich stundenlang ohne Malheur malen konnte. Und so war ich dann immer froh, wenn ich meine Spielsachen endlich zur eigenen, freien Verfügung hatte. Ach ja, Erinnerungen lassen oft alles in einem „rosigen Licht“ erscheinen. Aber ein weiser Mann hat einmal gesagt: „Gott gibt uns Erinnerungen, damit wir Rosen im Winter haben“.

 

 

Der Nikolaus spricht

Für den Nikolaus zusammengereimt

von Eckhard Müller

 

Dieses Gedicht wurde mehrfach auf den  Weihnachtsfeiern

des Bläsercorps Much und der Borussia Leverath

von Günter Freiburg aus Much (als Nikolaus) vorgetragen.

Er übt dieses Ehrenamt schon über 50 Jahre aus.

 

Als ich kürzlich droben im Himmel saß, und dabei im heiligen Buche las,

kam plötzlich jemand mit polterndem Gang, der einen großen Kalender Schwang. Verwundert dachte ich bei mir, wer stört denn meine Ruhe hier?

Bald wusste ich, wer da erscheint - es war Knecht Ruprecht, mein alter Freund.

Nanu, fragt ich, was liegt denn an, warum störst du mich, den heil’gen Mann?

 

„Verzeihung“, sagt er da zu mir, „schau doch mal in den Kalender hier!

Hast du es denn noch nicht vernommen, die Weihnachtszeit ist angekommen,

und beide müssen wir wieder, wie alle Jahre zur Erde nieder“.

 

Ach ja, Knecht Ruprecht, ich weiß Bescheid, doch wird mir die Sache langsam leid.

Seit langer Zeit - du musst es ja wissen, red' ich den Menschen ins Gewissen

Ich zähl ihnen ihre Sünden auf, und nehm’ es dann auch noch in Kauf,

wenn sie hinter meinem Rücken lachen; und auch noch darüber Witze machen.

 

Was muss denn endlich noch geschehn, damit sie lernen, zu verstehn,

das sie mit ihrem törichten Handeln, immer mehr Richtung Abgrund wandeln.

Wenn sie nicht lernen, umzudenken, in eine andere Richtung umzuschwenken,
wird diese schöne, bunte Welt, mit Blumen, Wiesen, Wald und Feld,

und daran ist nicht mehr zu rücken, an ihrem eig’nen Dreck ersticken.

 

Und immer seh ich noch auf Erden, das Menschen sinnlos getötet werden.

Voller Hass sich gegenüber stehn, wie soll denn das nur weitergehn?

Es wird geraubt, gemordet und betrogen, das Unrecht wird zu „Recht“ gebogen.

Die Kirchen sind fast alle leer, jedoch im Knast - da gibt’s kein Platz bald mehr.

 

Fragt man die Menschen nun, wie sie das sehn,

und ob sie selber Schuld sich müssen eingestehn,

dann schüttelt alles mit dem Kopf und schweigt,

und flugs dabei ein jeder auf den andern zeigt.

 

Inzwischen haben nämlich sie entdeckt, und das ist es, was mich am meisten schreckt.

Weil’s auf den ersten Blick als harmlos sich erweist: die neue Mode, welche Egoismus heißt!

Da schafft sich jeder seine heile Welt, wie schlimm es drum herum auch ist bestellt.

Denn niemand fühlt sich schuldig hier, und jeder kehrt vor seiner Tür.

 

Es ist ja nun mal sehr bequem, von seinem Sessel aus im Fernsehn zuzusehn.

So mancher denkt, das ist doch nicht mein Bier, und alles ist ja noch so weit von mir.

Ja, reden tun sie so vermessen, und haben dabei ganz vergessen,

wie wackelig ihr Glück doch steht, wenn’s grade ihnen gut mal geht.

 

So hatte ich zu Ruprecht, meinem Knecht gesprochen,

der sah mich an ganz groß, als hätte er nun was verbrochen.

Da geht ein Leuchten über sein Gesicht, mit flinker Zunge er dann zu mir spricht:

 

„Oh, lieber Niklaus, heilger Mann, was du da sagst, gar schlimm hört sich das an.

Ich wäre jetzt so richtig schön in Fahrt, lass mich zur Erde gehn, ich regle das auf meine Art!

Wie würd' ich unten meine Rute schwingen,

mit harter Faust tät ich sie bald zur Umkehr zwingen,

denn deine milden Worte Jahr für Jahr, die bringen doch nichts, das ist mir schon lange klar“.

 

Halt ein, Knecht Ruprecht, rief ich voll Entsetzen, denn deine Worte tun mich tief verletzen. Niemals wird dir mit Gewalt gelingen, der Menschen Umkehr zu erzwingen.

Bald werden wieder Weihnachtsglocken läuten, du weißt doch wohl, was sie bedeuten?

Sie künden dieser armen Welt, die Botschaft der Engel auf Bethlehems Feld.

 

Sie künden von Gottes Liebe mit lautem Schall,

der damals Mensch geworden im ärmlichen Stall.

Doch die Menschen müssen tausend Irrwege gehn,

und mögen sie es auch wenden oder drehn,

nur ein einziger Weg die Richtung weist, es ist der Weg, der LIEBE heißt!

 

Doch das werden sie erst begreifen bestimmt, wenn sie mit all ihrer Weisheit am Ende sind. So lass uns beide auch diesmal wieder, zur Erde steigen nieder.

So, ihr Lieben, nun habt ihr es vernommen, bald wären wir also nicht zu euch gekommen.

 

Und denkt auch hier und da an meine Worte,

sie sind nun mal nicht immer von der heitren Sorte.

Entzündet euer Licht, dort wo ihr hingestellt, denn niemand ist allein auf dieser Welt.

 

Und nun, Hans Muff, tu deines Amtes walten, damit sie meine Worte auch behalten.

Doch bevor wir wieder in unsern Schlitten springen,

sollt ihr das Niklauslied noch einmal singen.

 

Zum nahen Weihnachtsfeste, da wünschet euch das allerbeste,

mit Fried' und Freud' für jedes Haus, euer guter alter Nikolaus

   

Wiederverwendung - auch in veränderter oder gekürzter Form -

ist vom Autor durchaus erwünscht.

 

 

Später Besuch.

Von Eckhard Müller

         

          Es war in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1945. Der 2.Weltkrieg hatte sein Ende gefunden. Seit einem halben Jahr schwiegen die Waffen. Wir erwarteten das erste friedliche Weihnachtsfest seit sechs Jahren.

          Das Leben hatte sich zunehmend normalisiert. Obwohl unsere ländliche Gegend nicht in so hohem Maße unter dem Bombenterror zu leiden brauchte wie die Menschen in den Städten, war auch hier der Kriegsschrecken nicht spurlos vorübergegangen. Nun hieß es, zusammenrücken, denn der Strom von Flüchtlingen und Obdachlosen aus den Ostgebieten und aus den Großstädten hielt an.

          Wer noch ein Zimmer oder einen Kammer in seinem Hause zur Verfügung stellen konnte, nahm eine Flüchtlingsfamilie bei sich auf. Eine für heutige Verhältnisse unvorstellbare Solidarität kam zum tragen. Das wenige, das man selber noch besaß, wurde geteilt mit denen, die alles verloren hatten.

          Die Militärregierung der Siegermächte hatten die zivile Verwaltung in ihre Hand genommen und somit Gesetz und Ordnung wieder hergestellt. Trotzdem waren die Zeiten noch sehr unruhig. Immer wieder machten umherstreunende Banden von sich reden. Es entstanden die wildesten Gerüchte. Man hörte von Greueltaten, - auch aus einigen Dörfern in unserer Gemeinde. Denn der Schutz des Gesetzes war noch nicht überall gewährleistet.

          Diese umherziehenden Gruppen setzten sich zum großen Teil zusammen aus ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus Osteuropa. Nach Wiedererlangung ihrer Freiheit waren viele von ihnen nicht mehr gewillt oder in der Lage, in ihre Heimat zurückzukehren. Was man ihnen nicht freiwillig gab, nahmen sie sich mit Gewalt. Dabei kam es auch verschiedentlich zu Übergriffen und Racheakten gegenüber ihren früheren Unterdrückern. Nach Einbruch der Dunkelheit war es ratsam, Fenster und Türen gut zu verschließen. Wer draußen noch irgendeine Arbeit zu verrichten hatte, trug Sorge, sich nicht allzu weit von den schützenden Häusern zu entfernen.

          Es war an einem solchen Abend in der Vorweihnachtszeit. Unser kleines Fachwerkhaus, welches ich mit meinen Eltern und mit meiner Großmutter bewohnte, teilten wir seit den letzten Kriegstagen mit einem älteren Ehepaar. Es waren entfernte Verwandte und sie hatten in einer Bombennacht ihre ganze Habe verloren. Nun waren sie froh, bei uns wenigstens wieder ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben.

          Meine Eltern waren eben mit der Stallarbeit fertig geworden und wir schickten uns an, das Abendbrot zu essen, als plötzlich an unsere Haustür geklopft wurde. Mein Vater begab sich nach draußen um nachzuschauen. Neugierig gesellte ich mich zu ihm. Da stand in der Dunkelheit ein gutes halbes Dutzend Männer. In gebrochenem Deutsch baten sie um ein Quartier für die Nacht.

          Zögernd ließ mein Vater sie eintreten. Nachdem sie in unserer Wohnstube Platz genommen hatten, konnten wir sie im Scheine der Lampe näher betrachten. Sehr vertrauenerweckend sahen sie nicht aus. Das Leben auf der Landstraße hatte sie gezeichnet.

          Während meine Mutter das Abendbrot zubereitete, versucht mein Vater etwas über das Schicksal der Männer zu erfahren. Nach der einfachen, mit wenigen Mitteln zubereiteten, aber kräftigen Mahlzeit wurde beratschlagt, wie und wo man die Männer für die Nacht unterbringen könnte.

          Im Hause selber war es, - nicht zuletzt durch unsere Verwandte als neue Mitbewohner ziemlich eng geworden. Also blieb nur noch die Scheune. Im Scheunenanbau befand sich der Holzschuppen und ebenfalls lagerte hier das Heu als Wintervorrat für unsere beiden Kühe.

          Hier im Heu richteten nun meine Eltern mit allerlei Decken und alten Mänteln ein warmes und bequemes Nachtlager her. Unsere alte Petroleumlampe sorgte für die nötig Helligkeit.

          Kurz vor Schlafenszeit entschloß sich mein Vater zu einem „Kontrollgang“, wie er sich ausdrückte. Es ließ ihm nämlich keine Ruhe, ob unsere Gäste sich auch an die Abmachung gehalten hatten, wegen der großen Brandgefahr auf das Rauchen zu verzichten. Meine Mutter bat mich, mitzugehen. Im Beisein eines Kindes, - so meinte sie, wäre mein Vater sicherer vor eventuellen Übergriffen.

          Als wir den Holzschuppen betraten, bot sich uns im Scheine der Laterne ein Bild, welches ich bis heute nicht vergessen habe. Da hatte sich ein Teil der Männer unserer Sägen bemächtigt und sie schnitten nun die schweren Stämme, welche hier als Brennholz lagerten, in Ofenlänge durch. Die anderen spalteten die klobigen Klötze mit dem Beil zu handlichen Scheiten und stapelten sie auf.

          Das alles bereitete ihnen ein sichtliches Vergnügen, um so mehr, als sie nun unsere ungläubigen und erstaunten Blicke sahen. Sie erklärten, das sei nur ein kleiner Dank für die freundliche Aufnahme.

          Am anderen Morgen, nach einem guten Frühstück, - nicht ohne ein großes Butterbrotpaket, daß jeder von ihnen zum Abschied in die Hand gedrückt bekam, sind sie dann weitergezogen, einer ungewissen Zukunft entgegen.

          Viele Jahre sind seitdem ins Land gegangen, doch immer wieder muß ich an jenen Dezemberabend denken, an dem die Angst, die Voreingenommenheit und das Mißtrauen besiegt wurden durch ein wenig Menschenfreundlichkeit.

 



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